Rezension: Wer den Wind sät von Jerome Lawrence und Robert Edwin Lee


Religion gegen Wissenschaft, Schöpfungslehre gegen Evolutionstheorie oder einfach nur um das Recht, frei denken zu dürfen – um all diese Themen dreht sich der Gerichtsprozess der im Zentrum des Stücks „Wer den Wind sät“ von Jerome Lawrence und Robert Edwin Lee.

Im beschaulichen Städtchen Hillsboro kommt es zu einem spektakulären Gerichtsprozess, der dem Ort eine zuvor nie dagewesene Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu Teil werden lässt: Lehrer Betram Cates wird beschuldigt, in seinem Unterricht die darwinistische Evolutionstheorie vermittelt zu haben und dabei die biblische Schöpfungslehre aussen vor gelassen zu haben. Der Fall von Betram Cates wird zu einem Stellvertreterkonflikt zwischen den Anhängern Darwins und den Anhängern der biblischen Schöpfungsgeschichte. Entsprechend grosses Geschütz fahren die beiden Seiten auf. Die Anklage wird von Colonel Matthew Harrison Brady vertreten und Bertram Cates vom legendären Henry Drummond. Die beiden Schwergewichte kreuzen im Gerichtssaal die Klingen. Gelingt es Drummond, die geschlossen hinter Brady stehende Jury und die Bevölkerung von Hillsboro auf die Seite von Bertram Cates zu bringen?

Historischer Hintergrund
Das Thema allein birgt an sich schon einiges an Brisanz, aber gerade die Tatsache, dass die Erzählung – zumindest teilweise – auf historischen Begebenheiten basiert, steigert diese noch mehr. 1925 kam es zu den sogenannten „Monkey-Trials“ wo der Lehrer John T. Scopes in Tennessee verurteilt wurde, weil er im Unterricht die darwinistische Theorie vermittelt hat. Auch andere Personen im Stücks, unter anderem Hornbeck, Drummond und Brady, haben ein reales Pendant in den „Monkey-Trials“.
Doch die Autoren des Stücks haben sich auch die Freiheit genommen, gewisse Elemente und Charaktere der Erzählung frei zu erfinden. So gibt es beispielsweise weder Rachel noch Pfarrer Brown. Trotzdem gewinnt die Erzählung an Schärfe und Bedeutung, wenn man bedenkt, dass es vor nicht einmal 100 Jahren in einem heute hochentwickelten Land wie Amerika zu dieser Grundsatzdiskussion zwischen Schöpfungslehre und Evolution kam und die Schöpfungslehre gewann.

Brady oder Drummond?
Die Spaltung der Gesellschaft entlang der Frage um die Schöpfungsgeschichte wird im Stück durch die Figurenkonstellation und die Ausarbeitung der Charaktere sehr schön dargestellt. Auf der einen Seite der allseits beliebte und gottesfürchtige Traditionalist Matthew Harrison Brady und auf der anderen Seite der gefürchtete und einschüchternd wirkende Henry Drummond, der den gottlosen Bertram Cates vertritt. Krasser könnten die Gegensätze nicht sein. Die beiden sind wie Tag und Nacht, weiss und schwarz oder – aufgrund des thematischen Rahmens des Stücks – Gott und Teufel. Die Rollen sind anfänglich klar verteilt und die Sympathien liegen auf der Seite von Brady. Doch je länger die Geschichte dauert, wird aus den beiden getrennten Seiten schwarz und weiss eine einzige, graue Masse. Man weiss als Leser nicht mehr so genau, wer gerade oben ausschwingt und wem man mehr Glauben schenken soll. Dem aufopfernd kämpfenden und rhetorisch versierten Drummond, der Brady dazu bringt, dass er sagt, Gott spreche direkt zu ihm, oder doch Brady, der die Kirche und den Glauben so leidenschaftlich verteidigt?

Das Recht, frei zu denken
Die Lösung liegt wohl – wie so oft – in der Mitte. Brady gewinnt zwar den Fall und die Jury befindet Cates für schuldig. Doch es ist kein triumphaler Sieg, wie ihn sich Brady erhofft hat. Cates und Drummond geniessen viele Sympathien und die Menschen beginnen sich mit Darwin auseinanderzusetzen und verteufeln ihn nicht mehr, ohne überhaupt zu wissen, worum es geht. Diese friedliche Koexistenz von den Anhängern Darwins und den Anhängern der biblischen Schöpfungsgeschichte wird durch die letzte Aktion des Stücks auch symbolisch sehr schön in Szene gesetzt: Henry Drummond sitzt allein im dunklen Gerichtssaal. Er wägt Darwins Buch in einer Hand, in der anderen die Bibel. Dann steckt er die beiden Bücher in dieselbe Tasche und verlässt den Gerichtssaal. Die Autoren des Stücks betonen dann auch, dass es nicht darum geht, ob die Schöpfungslehre oder die Evolutionslehre besser sei, sondern dass es um das Recht des freien Denkens gehe.
In „Wer den Wind sät“ wird ein spannendes Thema in einem sehr interessanten, historisch relevanten Kontext aufgearbeitet – sollte man gelesen haben. (fba)


Bibliografische Angaben

Titel: Wer den Wind sät (engl. Inherit the wind)
Autor: Jerome Lawrence und Robert Edwin Lee
Seiten: 144
Erschienen: 1955
Verlag: Ballantine Book
ISBN-10: 0345466276
ISBN-13 978-0345466273
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