Das klassische Drama „Nathan der Weise“ von Gottfried
Ephraim Lessing, das Ende des 18. Jahrhunderts erschienen ist, gilt als
einer der Klassiker der deutschsprachigen Literatur und ist thematisch aber noch immer top aktuell.
Während des dritten Kreuzzungs (1189-1192) kommt der Jude
Nathan von einer langen Geschäftsreise zurück. Der Händler bringt allerlei
Waren nach Hause zu seiner Tochter Recha. In der Kriegspause hat der in jenem
Gebiet herrschende Sultan Saladin einen Kriegsgefangenen – einen deutschen
Tempelritter namens Curd von Stauffen – begnadigt, weil dieser ähnlich ausgesehen
hat wie sein verstorbener Bruder Assad. Dieser hatte nach seiner Begnadigung und kurz vor Nathans Rückkehr dessen
Tochter Recha aus einem brennenden Haus gerettet. Nathan bedankt sich beim
Tempelritter und stellt ihn auch seiner Tochter Recha vor. Der Tempelritter verliebt sich sofort in
Recha und möchte sie heiraten. Doch Nathan hat Vorbehalte gegen diese Ehe, da
er aufgrund der Herkunft des Tempelritters ein Problem vermutet.
Parallelen zum aristotelischen Drama
Zuerst einige Bemerkungen zu den formalen Besonderheiten des
Textes von Lessing. Das gesamte Werk besteht aus knapp 4000 Zeilen, die alle in
Gedichtform verfasst sind. Lessing hat sein Drama zudem wie beim
aristotelischen Drama in fünf Akte gegliedert, die dann wiederum in verschiedene
Auftritte gegliedert sind. Auch sonst gibt es einige Parallelen zum
aristotelischen Drama: Es gibt nur wenige Regieanweisungen und die
Spannungspyramide ist über die fünf Akte sauber aufgebaut (Exposition,
steigende Handlung, Höhepunkt, retardierendes Moment, Katastrophe). Einzig die
Katastrophe am Ende – so könnte man interpretieren – ist keine Katastrophe im
engeren Sinn, jedoch auch kein wirkliches Happy End.
Die Einheiten von Ort, Zeit und Handlung, die für das aristotelische Drama zentral sind, werden auch
im Drama von Lessing eingehalten und am Ende erlebt das Publikum eine
Katharsis. Auch sind die Charaktere individuell, die Sprache ist gehoben und
weist viele rhetorische Figuren auf (das gesamte Werk ist im
Blankvers verfasst).
Was
jedoch nicht der klassischen Dramentheorie von Aristoteles entspricht ist das
Fehlen des
Chors, die nicht so stark ausgeprägte lose-lose-Situation des Hauptcharakters und die Ständeklausel, die auch nicht in ihrer reinsten Form
eingehalten wird (sonst würde der muslimische Sultan nicht den Juden Nathan um Rat und Geld
bitten).
Ringparabel und die Frage der besten Religion
Doch nicht nur formal hat das Werk einiges zu bieten, sondern
gerade auch inhaltlich sind viele verschiedene Punkte anzuführen, über die
diskutiert werden kann. Das zentrale Thema sind die drei verschiedenen
Religionen Christentum, Judentum und Islam und die Frage, welcher dieser drei
Glaubensrichtungen die beste ist. Diese Problematik veranschaulicht Nathan in
Lessings Erzählung anhand der Ringparabel, die äusserst bekannt geworden ist.
Die Konklusion der Ringparabel ist, dass schlussendlich nicht gesagt werden
kann, welche der drei Religionen die beste ist (in der Parabel stehen stellvertretend für die drei Religionen drei Brüder, die sich um das Erbe des Vaters streiten).
Doch nicht nur die
Ringparabel befasst sich mit dem Thema Religion, sondern das gesamte Drama ist
so etwas wie eine grosse, ausführliche Version der Ringparabel. Auch das Werk
dreht sich permanent um die Frage, welche der drei Religionen die beste ist.
Am Ende stellt sich dann aber heraus, dass alle involvierten Personen – der
Muslim Sultan, der Christ Curd von Stauffen und die als Jüdin erzogene Recha –
miteinander verwandt sind. Dies steht sinnbildlich dafür, dass die drei
Religionsformen miteinander verwandt sind und daher nicht zu sagen ist, welches die beste Religion ist. Schussendlich ist die Liebe
zueinander stärker ist als die Religionszugehörigkeit, denn am Ende des Werks
liegen sich die Protagonisten in den Armen – trotz den verschiedenen Religionszugehörigkeiten.
Diese Thematik der verschiedenen Religionen und religiöse
Kriege sind auch in der heutigen Zeit nach wie vor sehr aktuell und auch der Erklärungsversuch
von Lessing ist noch immer noch – zumindest in der Theorie – gültig. (fba)
Bibliografische Angaben:
Titel: Nathan der Weise
Autor: Gottfried Ephraim Lessing
Seiten: 240
Erschienen: 1779
Verlag: Suhrkamp
ISBN-10: 3518188410
ISBN-13: 978-3518188415
Bewertung:
Labels: aristotelisches Drama, Blankvers, Christ, drei Einheiten, Gottfried Ephraim Lessing, Jude, Katharsis, Muslim, Nathan der Weise, Religion, Rezension, Saladin, Spannungspyramide, Tempelritter