Rezension: Die dunkle Seite des Mondes von Martin Suter

"Die dunkle Seite des Mondes" ist eines der besten, wenn nicht vielleicht sogar das beste Werk des Schweizer Erfolgsautoren Martin Suter. Ähnlich wie in "Small World" verknüpft er gekonnt eine Kriminalgeschichte, ein persönliches Schicksal, sowie gesellschaftskritische Aspekte in einem Werk - eine Meisterleistung. 

"Kein Problem", antwortete Urs Blank freundlich und stellte sich vor, wie er Dr. Fluri ohrfeigte, "dazu bin ich schliesslich da." Mit diesem Satz beginnt die Geschichte des Wirtschaftsanwalts Urs Blank und mit diesem Satz schafft es Suter, die Aufmerksamkeit des Lesers voll und ganz auf die Geschichte zu lenken. Dieser Satz ist es auch, der das Hauptproblem von Blank aufzeigt: Die Kontrolle der Wut.

Pilztrip als Auslöser
Sein Vater hatte seine Mutter geschlagen und so hatte er sich geschworen, er werde niemals Gewalt anwenden. Er hat gelernt seine Emotionen, die in seinem Innern stets vorhanden waren, zu kontrollieren. Als ihn nun Lucille, die junge Inderin vom Flohmarkt mit der er eine Affäre begann, zu einem Pilztrip überredet, bricht die Kontrolle zusammen. Blank lässt seiner aufgestauten Wut und Aggression freien Lauf.
In der Folge gelingt es Suter, die Auswirkungen und Veränderungen des Verhaltens von Blank sehr detailliert und für den Leser äusserst spannend zu schildern. Die Gefühllosigkeit mit der Blank agiert, lässt einem erschauern und das Leiden des Umfelds berührt den Leser - die Authentizität der Erzählung ist Suter sensationell gelungen. 


Zwei komplett unterschiedliche Welten treffen sich
Das Buch beinhaltet einen starken, wenn auch nicht explizit genannten gesellschaftskritischen Aspekt, der am Beispiel von Urs Blank aufgezeigt wird. Blank hat alles, was man sich gemeinhin wünscht: Erfolg, Geld, Macht und eine ebenso erfolgreiche Frau an seiner Seite und dennoch ist er unzufrieden. Dies zeigt zum Einen, dass Geld allein nicht glücklich macht und zum Anderen, dass der Mensch nie zufrieden ist, mit dem was er hat. 
Im krassen Gegensatz dazu steht die Welt von Lucille. Die Inderin verkauft auf einem Flohmarkt Räucherstäbchen, kifft in ihrer Freizeit gerne mal oder unternimmt mit ihren Kollegen einen Pilztrip. Unterschiedlicher könnten die Welten von Blank und Lucille nicht sein - der Zusammenprall dieser beiden Welten ist daher umso interessanter. 

Wenn der Sieg zur Niederlage wird
Dann wäre da noch das Privatduell zwischen Blank und Ott, das dem ganzen Werk noch mehr Würze verleiht. Das Ganze begann damit, dass Ott Kunde war in der Kanzlei von Blank. Ott, ein äusserst erfolgreicher Geschäftsmann und Jäger, findet Gefallen an Blank und schenkt ihm bei einem Besuch in seiner Villa ein Messer mit der Inschrift "never hesitate". Ironischerweise befolgt Blank, wenn auch unabsichtlich durch die Auswirkungen des Pilztrip, genau diesen Ratschlag, der im Messer von Ott eingraviert war und verliert sein Gewissen. Wegen dieser Gewissenlosigkeit verspielt er auch den Goodwill von Ott, dem er eine Faust ins Gesicht schlägt und damit den Jagdinstinkt in Ott weckt. Von diesem Moment an will Ott sich rächen. Mit einer grossen Ausdauer und Zielstrebigkeit verfolgt er sein Opfer, bis es im Wald zum Duell kommt. Blank, dem es unterdessen gelungen war, nach einem erfolgreichen Trip sein Gewissen wieder zu erlangen, hat dabei die Möglichkeit, Ott umzubringen - mit dem Jagdmesser von Ott. Doch nun zögert Blank und lässt sich von Ott erschiessen, er lässt den Jäger absichtlich gewinnen. Otts Sieg wird damit zu einer schmerzhaften Niederlage - ein gelungenes Ende eines aussergewöhnlichen Werks!

Interpretation der Namen und Titel
Wie minutiös Suter seine Erzählung geplant hat, zeigt sich auch an der Wahl des Titels und der Namen der Charaktere. Lucille hat zwei mögliche Bedeutungen zum Einen das Licht und zum Anderen Luzifer, der Teufel. Genau diese Gegensätze verkörpert die junge Frau auch in der Geschichte. Sie bringt (Mond)licht in die Welt von Blank und eröffnet ihm mit dem Drogentrip aber gleichzeitig auch die dunkle Seite, die Kehrseite der Medaille; den Gewissensverlust. Nach dem Verlust des Gewissens kommt die dunkle, über lange Zeit verdrängte Seite von Blank ans Licht und prägt den Ausgang der Geschichte - ein sehr passender Titel.
Auch Urs Blanks Name ist sehr adäquat gewählt. Urs ist abgeleitet von "ours" was auf französisch "Bär" heisst, ein Tier also, das sinnbildlich für die Naturverbundenheit von Urs steht. Blank bedeutet soviel wie pleite oder normal und zeigt, dass Urs Blank eigentlich nicht in die oberflächliche Welt der Schönen und Reichen gehört, sondern in die Natur, in den Wald - bessere Namen und Titel hätte Suter nicht wählen können!

Für mich ist "Die dunkle Seite des Mondes" ein sensationelles Werk, das alles mitbringt, was es braucht: Spannung, Unterhaltung, Tiefgang und ein gelungenes Ende. Daher verdientermassen die Höchstnote für Martin Suter und sein Werk. 
(fba)


Bibliografische Angaben:

Titel: Die dunkle Seite des Mondes
Autor: Martin Suter
Seiten: 315
Erschienen: 2000
Verlag: Diogenes
ISBN-10: 3257233019
ISBN-13: 978-3257233018
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